Diversität gibt´s auch im Kopf!
Jeder Mensch ist etwas Besonderes, eine individuelle Mischung aus Merkmalen, die ihn einzigartig machen. Dazu gehört auch, dass wir alle Merkmale haben, mit denen wir mehr oder weniger aus der "Norm" fallen.
Diese Merkmale können sichtbar sein, wie z.B. die Körpergröße, eine Brille oder unsichtbar, also von außen nicht direkt erkennbar sein. Wie z.B., dass das Gehirn Reize/Informationen anders verarbeitet.
In diesem Beitrag erfährst Du...
Unterschiede in der Wahrnehmung
Unterschiede im neurochemischen Stoffwechsel
Unterschiede der neuronalen Verknüpfungen
1 - Was ist Neurodiversität?
Beschrieben wurde das Konzept der Neurodiversität erstmals im Jahre 2012 auf dem National Symposium of Neurodiversity an der Syracuse University in New York.
Es ist also ein noch vergleichsweise junges Konzept, für das es bis dato noch keine einheitliche Definition gibt. Doch im Kern beschreibt der Begriff Neurodiversität die enorme Vielfältigkeit, wie neurokognitive Funktionen im Menschen ablaufen können und dass sich alle unsere Gehirne zwar in Aufbau und Struktur ähneln, aber jedes einzelne anders funktioniert.
Das Konzept Neurodiversität besagt demnach, dass neurobiologische Unterschiede als natürliche menschliche Dispositionen (Veranlagung) angesehen werden und biologische Tatsache sind. Denn neurologische Diversität lässt sich mit anderen Formen der Diversität vergleichen. Wir kennen das beispielsweise hinsichtlich des Geschlechts, Hautfarbe, Körpergröße etc.
Die Neurodiversitätsbewegung strebt an, dass Neuro-Minderheiten (neurodivergente Menschen) in ihrem individuellen Sein und authentischer Selbstdarstellung unterstützt und gefördert werden, anstelle von Pathologisierung, Betitelung mit Störungsbildern und der Vorstellung, dass neurologische Unterschiede geheilt werden müssten.*
2 - Was ist Neurodivergenz?
Wie der Überbegriff Neurodiversität wurde auch das Wort neurodivergent von der Soziologin Judy Singer geprägt. Während sich der Begriff ursprünglich speziell auf Menschen mit Autismus bezog, hat sich die Verwendung des Begriffs in den letzten Jahren erheblich erweitert.
Man spricht von Neurodivergenz, wenn bestimmte Gehirnfunktionen eines Menschen so deutlich anders arbeiten, dass es innerhalb der Gesellschaft nicht mehr als im „normalen Bereich“ betrachtet wird.
Wenn z.B. das Gehirn einer Person Informationen sehr viel anders verarbeitet, anders lernt und / oder diese Person sich anders verhält als das, was als "typisch" angesehen wird.
Für Personen, deren neurologische Entwicklung und Gehirnfunktion mit dem übereinstimmen, was die meisten Menschen als normal empfinden, wird der Begriff neurotypisch verwendet.
3- Wie unterscheiden sich neurotypische und neurodivergente Menschen?
Als neurotypisch können (vereinfacht ausgedrückt) Menschen verstanden werden,
die in der Lage sind,
schulische, berufliche, gesellschaftliche und soziale Anforderungen
mit den (der Allgemeinheit) zur Verfügung stehenden Mitteln,
in einer ähnlichen Art und Weise,
in ähnlicher Zeit,
mit ähnlichem energetischen Aufwand,
wie der größte Teil der Mitmenschen,
zu bewältigen.
Für neurodivergente Personen ist es allerdings manchmal unmöglich Dinge so zu tun "wie man es sollte"/"wie es alle anderen machen". Scheinbar gewöhnliche Anforderungen des täglichen Lebens können erhebliche Herausforderungen für sie bedeuten.
Sie benötigen alternative Strategien und Methoden um diesen gerecht zu werden. Mit anderen Worten, sie müssen spezielle, manchmal umständlich wirkende Wege nutzen, um das gleiche Ziel zu erreichen.
Sie benötigen unter Umständen Hilfsmittel um sich vor Reizüberflutungen ( z.B. Kopfhörer) zu schützen.
Sie benötigen oftmals regelmäßiger Ruhe und Abstand um ihr Nervensystem wieder zu beruhigen.
Sie benötigen ggf. eine besondere Art der Informationsdarbietung um z.B. Lern- und Verständnis-Erfolge zu erzielen.
u.v.m.
#4: Welche Faktoren spielen im Rahmen der Neurodiversität/Neurodivergenz eine Rolle?
Es gibt eine unglaubliche Vielzahl an Einflussfaktoren, Merkmalen und Funktionsvariationen, deshalb kann die folgende Übersicht nur einen groben, vereinfachten Überblick bieten.
Drei der wichtigsten Faktoren sind:
1. Unterschiede in der Wahrnehmung 👀 👃 👂👄🖐️
Wie intensiv werden Sinneseindrücke / Äußere Reize wahrgenommen.
👂 z.B. wie laut und wie leise / wie angenehm und unangenehm werden
Geräusche wahrgenommen.
Manche Menschen empfinden bestimmte Geräusche und Töne sogar als
unerträglich und schmerzhaft.
👀 Z.B. wie intensiv werden Licht/Helligkeit und Farben empfunden.
Wie Sinneseindrücke / Äußere Reize gefiltert/sortiert/verarbeitet werden.⛔✅🚦
Wie Sinneseindrücke im Gehirn verarbeitet werden ist eine sehr komplexe
Angelegenheit und kann hier im Rahmen eines Blogbeitrages nicht genauer erklärt werden!
Wichtig ist zu verstehen ist, dass die Art und Weise wie ein Gehirn Reize aufnimmt und verarbeitet, die Grundlage dafür ist, wie ein Mensch reagiert. Das bedeutet,
ob ein Mensch in der Lage ist, Anforderungen "adäquat" zu bewältigen, hängt fundamental damit zusammen, wie sein Gehirn Informationen aufnimmt und verarbeitet.
Beispiele:
Wie viele oder wenige Informationen werden gleichzeitig "durchgelassen". Menschen mit einem schwachen Wahrnehmungsfilter können einzelne Reize nicht ausblenden.
Nach welchen Kriterien wird sortiert, z.B. nach Relevanz, also zur aktuellen Situation passend oder persönlichem Interesse?
Wie werden diese Informationen interpretiert und sortiert?
Manche Menschen mit sensorischen Integrationsproblemen finden es schwierig, visuelle und akustische Informationen gleichzeitig zu verarbeiten. (nach dem Motto: "dreh das Radio leise, ich sehe nichts")
Menschen mit auditiven Verarbeitungsstörungen haben oft Schwierigkeiten, zwischen ähnlichen Klängen zu unterscheiden und Sprache über Hintergrundgeräusche hinweg zu verstehen. Sie brauchen mehr Zeit, um das Gehörte zu „verstehen“, vor allem, wenn jemand schnell spricht oder mehrere Sprecher anwesend sind.
2. Unterschiede im neurochemischen Stoffwechsel 🧠🧪⚗️
z.B. in der Abbaugeschwindigkeit von bestimmten Neurotransmittern, wie z.B. bei AD(H)S, dabei spielt es eine wichtige Rolle, dass der Neurotransmitter Dopamin zu schnell abgebaut wird.
3. Unterschiede der neuronalen Verknüpfungen 🧠🕸️
die Art Wissen aufzunehmen - Wie gut oder schlecht werden sprachliche Konzepte wie Lesen und Rechtschreibung, oder numerische, mathematische Konzepte verarbeitet: Besonders gut bis besonders schlecht
die Art Wissen abzurufen - strukturiert oder assoziativ, sagst Du alles was Dir einfällt oder nur das was gerade zur Situation passt?
Wie Sinneseindrücke verknüpft werden - z.B. bei der Synästhesie, wo Farben gehört und/oder Töne gesehen werden.
*Natürlich gibt es immer verschiedene Ausprägungen (Schweregrade), so kann es durchaus sein, dass es bei der Häufung intensiver Ausprägungen, zu einer so starken Behinderung im Alltag kommt, dass man eindeutig von einem Krankheitsbild sprechen kann.
#5: Hunter - Farmer - Theorie
Thom Hartmann vertritt in seinem Buch "eine andere Art die Welt zu sehen" die Theorie, dass es Zeiten in der Menschheitsgeschichte gab, in der die Art, wie das ADHS-Gehirn funktioniert dringend notwendig war, sich später aber andere Lebensweisen herauskristallisierten, in denen diese weniger nützlich waren. Er geht davon aus, dass in der Zeit der Jäger und Sammler das ADHS-Gehirn optimale Voraussetzungen für einen Jäger brachte. Und erklärt dies folgendermaßen:
Kurzzeitgedächtnis/ Impulsives Handeln: Schnelles Erfassen der wesentlichen Punkte einer Situation, einer Tätigkeit, einer Aussage bzw. einer Entwicklung sind für Jäger überlebenswichtig. Jäger brauchen deshalb ein sehr ausgeprägtes Reizempfinden, eine sofortige Verarbeitungs- und Reaktionsgabe (wobei gilt: je schneller und mehr umso besser!).
Langzeitgedächtnis/ Reaktivier-/Rekonstruiervermögen: Jäger brauchen darüber hinaus ein Erinnerungs- und Reaktivierungsvermögen, das ihnen später erlaubt, sich bei wiederholenden Situationen sofort zurecht zu finden, Lehren aus Fehlern zu ziehen bzw. Erfolge zu wiederholen.
Kurzzeitgedächtnis: Das Kurzzeitgedächtnis ist weniger notwendig, es kann im Gegenteil zu Verzögerungen bei Handlungen führen, weil es andere Prozesse blockiert.
Hyperfokusieren: Eine Jagd zog sich oft über lange Zeiträume hin. Während der gesamten Zeit musste der Jäger hochkonzentriert auf sein Ziel sein und alles andere Verdrängen. Heute sagt man Hyperfokusieren dazu - eine typische Eigenschaft von ADS/ADHS-Menschen.
Tagträumen: Gleichzeitig kann ein Jäger nach erfolgreicher Jagd lange Ruhezeiträume in Anspruch nehmen, wo seine Sinne und sein Gehirn sich entspannen können (ähnlich dem Tagträumen).
Quellen:
Ich hoffe der Artikel war interessant für Dich und bringt Dir den Gedanken etwas näher, dass ADHS nicht unbedingt als Krankheit oder reparierungsbedürftige Fehlfunktion betrachtet werden muss ;)
Wenn Du mehr über ADHS bei Frauen wissen möchtest, schau mal hier vorbei: ADHS & ADS bei Frauen | Symptome und Besonderheiten (spektrumfrau.de)
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Herzliche & neurodivergente Grüße, Deine Anja 🙋♀️
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